kaum strecken sich die ersten t-shirt-verheißenden sonnenstrahlen aus ihrem winterschlaf heraus - und die gesamte mainzer menschheit spielt verrückt. sie klappen ihre laptops zu (verstauen aber ihre smartphone-bitches sorgfältig in der hosentasche), krabbeln aus ihren wohnhöhlen und strecken ihre gesichter der sonne entgegen. innerhalb eines augenblicks zu sonnenanbeterinnen mutiert.
und wie glücklich sie alle aussehen! fast will man ausrufen "seht her, der mensch braucht gar nicht so viel zum glücklich sein. schönes wetter reicht."
auch ich, bekennende sonnenanbeterin (mit smartphone-bitch in der hosentasche. ach ja - schlimm sowas...), war die letzten tage eifrig unterwegs und speicherte so viel sonne, wie meine gestressten körperzellen nur aufnehmen konnten.
gestresst, weil das leben nun mal kein ponyhof und das kirschen-essen nicht mit jedermann eine gute option - oder so ähnlich.
fakt ist, dass sich alle meine aktivitäten - berufliche wie frezeitliche - in letzter zeit allzusehr auf einem sehr kleinen raum abspielten. ihr wisst schon... ja genau, hier. auf dem desktop. die einzige abwechslung, die sich stellte, war: lese ich oder schreibe ich? der ort blieb jedoch immer derselbe: interned. mittlerweile hat der rücken, diese krumme socke, eine windung mehr und rächt sich in regelmäßigen abständen, indem er hämisch knarzt...
aber diese sonnenstrahlen - sie haben auch mich wieder aus meiner verstaubten monotonen schreiblethargie herausgerissen. wunderbare sonne!
sobald die ersten sonnenstrahlen mich erreichten, fühlte ich eine ungeheure lust auf - haltet euch fest - b e w e g u n g. ... aber da bewegung an sich allzu schnell mit eckligem, anstrengenden und absolut unspaßigen sport, mit schwitzen und seitenstechen gleichgesetzt wird (mein innerer schweinehund hasst sport, und ist ganz und gar nicht begeistert, wenn man ihm seinen speckgürtel wegnimmt. übrigens ist meiner mit der smartphone-bitch liiert...) habe ich mich umgesehen, was sonst noch mit bewegung zu tun hat, aber im gegensatz zu sport einfach nur bock macht.
folgende aktivitäten eignen sich am besten dazu, dem schweinehund selbstbewusst in seine verrunzelte schnauze zu rufen "hau ab, du hund! ich mache keinen sport. ich flowerpowere." einige habe ich schon ausprobiert, auf andere freue ich mich wie ein schntzel, also... so n vegetarisches...oder so..
SLACKLINE
das erste mal, als ich sie sah, das holde seil, hing sie zwischen zwei bäumen, im park unweit eines kinderspielplatzes und adrette, athletische menschen balancierten, schritten und jumpten auf ihr herum. prompt war es um mich geschehen! ich fiel in love. allerdings war ich zu schüchtern, um mit ihr anzubandeln. diesmal habe ich aber mehr mut. diesen sommer vollführe ich den seiltanz. gut für: ganzkörperspannung, rücken(?), konzentration, euphorie am ende der line risiko: knochenbrüche... motivation:
JONGLIEREN
irgendwie hatte ich bisher in meinem leben allen meinen begegnungen mit jongleuren, mit dem jonglieren an sich, kaum bedeutung beigemessen. und irgendwie bin ich jetzt total fasziniert von diesen menschen, die bälle in die luft werfen - und sie gekonnt und künstlerisch drapiert auch alle wieder fangen. seit dem wochenende bin ich nun ebenfalls stolze besitzerin drei bunter jonglierbälle - und habe gar keine skrupel, diese zu benutzen. denn während sich einige weiterhin damit aufplustern, wie multitaskingfähig sie sind, habe ich beschlossen, diesem schizophrenen ich-kann-gleichzeitig eine-email-lesen-ein-buch-schreiben-und-nebenher-zwischen-work-und-life-balancieren-wahn eine abfuhr zu erteilen. du kannst mich mal! ich konzentriere mich von nun an immer öfters mal nur auf eine sache. und weil ich das schon vor langer zeit verlernt habe, ja, fange ich an, mich wieder daran zu erinnern. gut für: konzentration, fingerfertigkeit koordination risiko: man wird ausgelacht, besonders am anfang., wenn die bälle nicht dahin fliegen, wohin sie sollen. besonders vom eigenen nachwuchs. ich spreche aus erfahrung..
HULA HOOP
hier kann ich sogar eine ganz konkrete quelle nennen, die mich inspiriert hat: lisa pfleger. auf die gestossen bin ich durch ihren freund michael, mit dem ich via twitter vernetzt bin (#followerpower!:)). die beiden betreiben den blog "experimentselbstversorgt"- und leben entsprechend als selbstversorger. ich folgte einem seiner tweets - und dieser war verhängnisvoll. ich landete in einer anderen welt. in der welt der hula-hooping-fans. es ist eine welt innerhalb unserer! was ich alles allein in dieser woche erfahren habe, ist einen eigenen blogeintrag wert. auf einem video entdeckte ich lisa. ich sah ihren hoopdance. und es passierte das, was oft beim zuschauen von tanzen passiert. ich fühlte mich berührt. angesprochen. und nun hat mich das hoop-fieber gepackt. der reifen ist bestellt. ich zähle die tage... gut für: alles. fitness, ausdauer, koordination, ... risiken: ??? motivation:
warum flowerpower? schuld an dieser assoziation sind jene barfüßigen menschen, die ich einst zu meinen studienzeiten unweit meines geliebten ethno-instituts zu sehen und beobachten pflegte. es waren jene flower-power-menschen, die sich gerne im sommer in den nachmittagsstunden auf der wiese versammelten. sie trugen weite bunte baumwollhosen, die aus irgendeinem "fernen" land stammten, hatten oft dreadlocks oder bunte baumwollkopftücher. und sie jonglierten und hoop-tanzten. wir nannten sie die "hippies". es ist ein klischee. aber eins, das mir gefällt. damals hatte ich einfach nicht zu ende gedacht. hätte ich es getan, dann wäre herausgekommen, dass ich ebenfalls eine barfüßige, bunte baumwollhosen- und baumwollkopftuchtragende hippiebraut bin. das tue ich nun. ich folge also nur meinem ruf, der mich endlich erreicht hat. jonglierbälle, slackline, reifen sind eingepackt - und das smartphone, diese bitch, wird lernen, dass sie nicht mehr die nummer eins ist. und das alles nur wegen der sonne.
Es
geschah letzten Sommer in Marokko. Ich war auf einer marokkanischen
Hochzeit. Die Stimmung war dementsprechend - feierlich. Der Festsaal
perfekt geschmückt, das Brautpaar perfektionistisch zum Kunstwerk
drapiert, die Gäste schunkelten frohlockend um sie herum und
versuchten, ihre grummelnden Mägen durch ein bisschen Bewegung zu
übertönen (denn das Festmahl beginnt auf marokkanischen Hochzeiten
gewöhnlich nicht vor 22 Uhr. Meistens später). Irgendwann stimmten
die Musiker ein neues Lied an. Während ich noch gelangweilt an
meiner Limo nippte, sagte mein Mann mit einer Kopfbewegung zur Bühne,
noch ganz gelassen: „Oh, die wird jetzt nicht mehr mit dem Tanzen
aufhören.“ Und schon war der weg, eilte einer tanzenden Frau zu
Hilfe. Jetzt fragt ihr euch bestimmt, wieso das denn? Sie tanzt doch.
Ja schon. Aber es war kein gewöhnlicher Tanz. Eigentlich tanzte sie
unfreiwillig. Sie tanzte sich in Trance.
Dieses
Erlebnis fand ich faszinierend, aus vielerlei Gründen. Erstens, weil
ich mich mit dem Thema schon während meines Studiums
wissenschaftlich auseinandergesetzt habe – zuerst im Rahmen meiner
Schamanismus-Studien, später begegneten sie mir wieder in
Besessenheitskulten.
Und
dann waren da noch eigene Erfahrungen im Spiel.
Ihr
kennt sicherlich so ein Szenario: ihr seid in der Disco, steht an der
Theke, nippt gelangweilt an eurem Bier, plötzlich spielt der DJ
gerade euer absolutes Lieblingslied – so „Bitter End“ von
Placebo oder so. Wenn die ersten Takte erklingen, lasst ihr euer Bier
Bier sein, stürzt auf die Tanzfläche, und tanzt euch so richtig in
Rage. Wenn ihr erstmal drin seid, dann tanzt ihr weiter. Und weiter,.
Solange, bis ihr einen Zustand erreicht, der irgendwie eigenartig
wird. Befremdlich. Entfremdet. Entrückt.
Dann
ist es plötzlich vorbei.
Und
ihr steht da. Bei vollem Bewusstsein eurer Sinne. Und denkt euch
(vielleicht): „Mann war das geil....doch was zur Hölle war das
jetzt eigentlich?“
Mir
ging es oft so. Ich ging tanzen, und während mein Körper und Musik
ein Zwitterwesen bildeten, stiegen in mir zur gleichen Zeit
widersprüchlichste Gefühle auf: Freude, Trauer, Trance, Sorge,
Ekstase, Entzücken, Glückseligkeit, (Friede?), Enttäuschung,
Sehnsucht.. Nachher wusste ich nie so ganz, wie mir geschah.
Irgendwie auch angsteinflössend. Das wollte ich auf mir nicht sitzen
lassen. Also befasste ich mich mit dem Thema. Ich recherchierte. Ich
tanzte. Ich interviewte. Und ich schrieb alles auf.
Herausgekommen
sind bereits einige Texte, in denen Tanzen im Mittelpunkt stand.
Und
nun auch hier.
Aber
OBACHT. Der Text hat es in sich. Der ist lang. Also, nehmt euch Zeit,
holt euch nochmal was zum Knabbern, zieht warme Socken an. Oder
proportioniert den - ich mache, so oft es geht, übersichtliche
Absätze. Oder lasst es sein. Wie ihr wollt.
P.S.:
Mit der Veröffentlichung dieses Textes halte ich auch das
Versprechen ein, das ich bei „About“ ankündigte. Denn locker
könnte man den Text mit „Spirituelles“ labeln...
Ab
hier verabschiede ich mich schon mal vor den Voreingenommenen und
überzeugten Anti-“Spirituelles“-Lesern. Auch ihr habt ein Recht
auf eure Meinung.
Wobei
ich selbst ja dann eher sagen würde, ihr verpasst was.
Der Tanz, der Trancetanz und das Heilige
Tanzen
ist meine Leidenschaft. War es schon immer. Seit ich denken kann.
Doch keine Panik, ich fange nicht bei jeder Art von Musik damit an,
mich unkontrolliert zu bewegen. Standardtänze. Die lassen mich kalt.
Dort, so scheint es, ist das oberste Gebot eine perfekte
Choreographie aufs Parkett zu legen und eine Trophäe nach der
anderen aufs verstaubte Regal zu stellen. Hat sicherlich seinen
eigenen Reiz, aber dieser entzieht sich mir, sorry.
Nein.
Was mich reizt, wo meine Augen zu leuchten beginnen, und der Körper
sich verselbstständigt, das sind die schweren, düster mystischen
Rhythmen und Beats der „modernen“ Musik. Rock, Gothik, Trance,
auch Pop - oder gar Hip Hop. Doch manchmal ist das –
Youtube-Clipchen hier, Disconacht da - nicht genug. Dann plündere
ich mein Erspartes, bezirze einen Kindsitter, verlege die Termine –
und tauche ein Wochenende lang in einem Modern Dance-/Contact
Improvisation-/ Workshop unter. Um mich inmitten anderer Tänzer_innen
als eine von ihnen zu fühlen.
Tanzen
hat Suchtpotential. Zumindest bei mir. Ich bin tanzsüchtig. Es Ist
wie eine Droge. Ruft ähnliche Zustände hervor, mit all den Etappen,
die solch ein Drogentrip mit sich bringt. Nur dass das emotionale
Tief ausbleibt. Sicherlich bin ich nicht die einzige, der es so
ergeht. Oder??
Was
ist das – „Tanz“? Definition
Für
die einen ist Tanzen eine sportliche Betätigung mit
Wettbewerbscharakter. Bei professionellen Standard- und
Lateinamerikanischen Tänzer_innen etwa. Sie nehmen ein hartes
Training in Kauf, um ihren Körper zu trimmen und in intensiven
Trainingseinheiten eisern ihre Choreographien einzustudieren. Bei
Wettbewerben geben sie ihr Bestes, und werden daraufhin mit einem
Siegerpokal belohnt.
Für
andere ist Tanzen eine Kunstform. Schaut man sich die
Balletttänzer_innen an - wie sie graziös Pirouette drehen, gefolgt
von Grand Jeté und Arabèsque - dann ist man ob der Eleganz und der
enormen Körperbeherrschung der Tänzer fasziniert, schüttelt
allenfalls den Kopf und fragt sich, wie es möglich sei, sich diese
körperliche Anstrengung, die Ballett mit sich bringt, nicht
anmerken zu lassen.
„Mit
Tanz verbinden Menschen verschiedenste Lebensbereiche und Gefühle“,
sagt die Theologin und Ethnologin Gabriele Koch. Das Interesse und
die Begeisterung fürs Tanzen gehe oft mit der Beherrschung des
Körpers einher und mit einem intensiveren Körpererleben. Man fühle
und erfahre sich selbst als lebendiger, sagt Koch und erklärt, warum
es ihrer Meinung nach so ist:
„Der
Tanz realisiert Ausdruck und Begegnung in einer verbal-rational
dominierten Welt über den Körper, nicht über den Kopf.“
Für
uns Menschen, die es gewohnt sind, mit Worten zu kommunizieren, die
nicht (mehr) wissen, dass Kommunikation über verschiedene Kanäle
erfolgen kann, ist diese Art des Kommunzierens – nämlich über den
Körper - eine verlorene Kunst. Und dennoch erinnern wir uns langsam,
dass es mal anders war.
Tanz
als Heilmethode - auch das ist eine Facette des Tanzes in
westlichen Gesellschaften. Als Therapiemethode in den 1940er Jahren
in den USA entwickelt, gibt es heute „Tanzen auf Rezept“, von
Heilpraktikern und Psychotherapeuten angeboten. In der so genannten
Integrativen Tanztherapie etwa wird der Tanz und die Bewegung als
psychotherapeutisches Medium verwendet, um die psychische und
physische Integration des Individuums zu fördern.
Eine
Sehnsucht, eine Faszination und ihre Ursprünge
So
viel steht fest: Tanzen war und ist ein menschliches Kulturgut. Und
eine Art anthropologische Konstante. Denn es gibt kaum eine
Gesellschaft auf der Welt, in deren Kultur keine Tänze existieren.
Warum
ist es so?
Warum
tanzen wir?
Aus
Spass an der Freude? Aus sportlicher Motivation? Oder steckt mehr
dahinter?
Ob
Sportart, Kunstform, Therapie, Teil unserer Feierkultur – der Tanz
in unseren westlichen Gesellschaften hat viele Gesichter.
Für
einige scheint der Tanz allerdings mehr zu sein. Es ist wie ein
Lebenselixier, und übt eine mysteriöse Faszinationskraft aus, der
man sich nicht entziehen kann. Und will!
Mögliche
Erklärungen dazu, warum Tanzen fasziniert könnte man erfahren, wenn
man in die Menschheitsgeschichte zurückblickt. Dort wird man fündig.
In frühen Götterkulten. In den sakralen Ritualen. Dort ist der Tanz
geboren.
Der
Göttertanz in Indien
Schon
in den Religionen Indiens taucht der Tanz in alten Götterritualen
auf. „Als den großartigsten und gewaltigsten göttlichen Tänzer
im hinduistischen Pantheon dürfen wir wohl Shiva nennen“, schreibt
der Religionswissenschaftler Ulrich Wössner in seinem Buch „Der
Göttertanz in Indien und Griechenland“. Als „Nataraja“, König
der Tänzer, erschafft, erhält und zerstört dieser Gott mit seinen
bedeutenden Gesten und mit seinem Tanz den Kosmos und die Welt.
Griechenland:
Vom harmonischen Tanzreigen zu den düsteren Dionysos-Tänzen
Und
auch im antiken Griechenland spielte der Tanz bei sakralen Ritualen
eine große Rolle. Die Tanzkunst sei zugleich mit der ersten
Erschaffung der Welt und im selben Augenblick wie der uralte Gott
Eros entstanden, schreibt Wössner.
„Der
Reigen der Sterne, die verschlungene Bewegung der Planeten, ihre
taktmäßige Vereinigung und ordnungsvolle Harmonie sind Proben des
ursprünglichen Tanzes.“
Somit
ist der Tanz des Eros einer der „urhaftesten“ aller Göttertänze.
Und auch hier wird er in seinen befruchtenden, Leben erschaffenden
Aspekten dargestellt
Zeichneten
sich die Tänze der meisten griechischen Götter durch ihre Harmonie
und helle, fröhliche – nie jedoch wild ausufernde - Bewegungen
aus, umso verstörender erschienen die Dionysos-Tänze. In Wössners
Darstellung begaben sich die Dionysos-Anhängerinnen „mit
Hirschkalb- und Rehfellen“ bekleidet zum Gottesdienst. Unter
„lärmendem Paukengedröhn und Flötenspiel“ brachte Dionysos sie
zum Tanzen. Doch war dieses Tanzen „keine rhythmisch geordnete,
gleichmäßige klare Bewegung der Beine, Füße, Arme, Hände, des
Kopfes und übrigen Körpers.“ Viel eher war es ein „rasendes,
fast schwebendes Schwärmen, Schweifen, Schwingen, Springen und
Laufen.“
Die
Anhänger, so schien es, gerieten nicht aus eigenem Antrieb in diese
dionysische Raserei, sondern waren für einen kurzen Augenblick nicht
sie selbst oder gar außer sich. Nach dem Tanz-Gottesdienst machte
sich aber keine Verstörung oder Verwirrung ob des eigenen zügellosen
Verhaltens breit. Stattdessen, schreibt Wössner, waren die Anhänger
„trunken, entzückt, entrückt“ und „des Gottes voll.“
Trancetanz
und Besessenheit – der Gnawa-Kult in Marokko
Solche
Tänze – auch Trancetänze genannt - die in diversen
ethnographischen Quellen zahlreich und detailreich beschrieben
wurden, gab es nicht nur in der Vergangenheit. Sie finden sich auch
heute noch in verschiedenen Gesellschaften auf der ganzen Welt.
Ein
Beispiel aus einer islamisch geprägten Gesellschaft etwa ist der
Gnawa-Kult in Marokko. Ursprünglich mit dem Sklavenhandel im 16.
Jahrhundert aus dem Sudan, Mali oder Nigeria nach Nordafrika
gekommen, etablierte sich der Gnawa-Kult zu einer
spirituell-islamischen Subkultur.
Die
Gnawa-Anhänger glauben an Geisterbesessenheit. Während der
„lila“-Zeremonie suchen die Besessenen gezielt Kontakt zu „ihrem“
Geist - um ihn dazu zu bewegen, von einem abzulassen.
Durch
Musik und Tanz in Trance versetzt, öffnet sich, so der Glaube, eine
Pforte, der Geist gelangt in den Körper des Tänzers. Auf diese
Weise kann der Mensch mit diesem Geist in Kommunikation treten und um
Heilung bitten. Doch der Geist macht sich erst bei einem bestimmten
musikalischen Rhythmus bemerkbar, nämlich dann, wenn der Musiker
„sein persönliches“ Lied spielt. Und erst, wenn der Tanzende auf
die Tanzfläche kommt und zu tanzen beginnt, ist der Kontakt zum
Geist hergestellt.
Die
Sufis
Ein
weiteres bekanntes Beispiel, Gott näher zu kommen, ist der Tanz der
Derwische, oder auch Sufis. Stundenlang drehen sie sich im Kreis, mit
dem klaren ziel: Sie wollen den Zustand erreichen, den sie als
„Verschmelzung mit ihrem Gott“ bezeichnen. Die Trance.
Ambivalentes
Verhalten gegenüber „Trance“-Tanz
Obwohl
die Tänze der Derwische heute mehr den Entertainmentcharakter haben
(sie werden etwa auf kulturellen, folkloristischen Veranstaltungen
aufgeführt), obwohl die Gnawa-Musiker seit den 1960er Jahre
„Popstar“-Status genießen und ihre Musik internationale
Popularität erlangte, sind die Reaktionen auf trancetanzende
Menschen oder trancetanz-induzierte Musik eher verhalten, wenn nicht
gar ablehnend.
So
werden die Gnawa-Musiker in Marokko zwar wie Popstars gefeiert –
die Tatsache jedoch, dass sie Musik spielen, die ihre Ursprünge aus
einem Besessenheitskult ist, wird in der Öffentlichkeit lieber nicht
thematisiert. (Ist zumindest meine Erfahrung und daher meine
Meinung.)
Eine
mögliche Erklärung hierfür liefert die Ethnologin Ulrike Krasberg
in ihrem Buch „Die Ekstasetänzerinnen von Sidi Mustafa“. Sie
schreibt: Die Trance selbst ist das Problem. Das Ekstatische. Sie
erzählt die biblische Geschichte vom König David. Darin tanzte
David zu Ehren seines Herrn, und tat dies mit solcher Inbrunst, dass
er sich dabei die Kleider vom Leib riss.
Das
Unerhörte dabei: er tat dies vor einer Menschenmenge!
Eben
genau solch ein nicht-konformes Verhalten wird von denen, die den Weg
der Mystik gehen wollen, erwartet, so Krasberg :
„Im
Ekstase-Tanz geht es eben darum, dass man sich beim Tanzen Gott
zuwendet, ohne Rücksicht auf gesellschaftlich angemessenes
Verhalten.“
Die
ESSENZ? Tanzen bis das Paradies kommt...
Was
genau passiert nun eigentlich während des Trancetanzes?
„Während
des Tanzens verfließen die Grenzen von Leib und Seele“, fand
der Musikethnologe Curt Sachs. „Der Leib wird von der Ekstase
überwunden, wird zur Schale für übermenschliche Seelenkraft. Die
Seele gewinnt, befreit von Leib, Glück und Gottesfreude“.
In
diesem Zustand, im Zustand der Ekstase, sei der Mensch in der Lage,
eine Brücke zum Jenseits zu schlagen, formuiert Sachs. So gesehen
ist der Tanz eine Art Gottessuche.
Ähnlich
bei Krasberg: Es scheint, schreibt sie, dass der Tanz - diese
körperliche rhythmische Bewegung – ein Erleben des Menschseins
außerhalb seiner leiblichen Hülle ermöglicht.
Der
Trancetanz macht mich vergessen, dass ich einen materiellen,
physischen Körper habe. Und so tauche „ich“ ins Glückselige.
Religionen
nennen es dann jeder so wie er will: Paradies, Brahmann, Nirvana.
Trance?
Ekstase? - Definitionschaos, wie immer
Durch
Tanzen, durch körperliche Bewegung also, durchschreiten wir Menschen
eine unsichtbare Pforte. Dann ist von einem veränderten
Bewusstseinszustand die Rede. Dieser Zustand wird mal Trance, mal
Ekstase genannt. Was nun was ist, und worin der Unterschied besteht,
das weiß keiner so genau. Oft werden die Begriffe als Synonyme
angewandt.
Brockenhaus
schreibt hierzu:
'Ekstase'
ist der Zustand einer religiösen Verzückung oder Entrückung. In
diesem Zustand sei der Mensch nicht Herr über sein normales
Bewusstsein, handle im Affekt, sei stark erregt.
Induziert
werde die Ekstase (wenn er nicht spontan auftrete) durch Askese,
Musik, Drogen - oder eben durch den Tanz.
Auch
während der 'Trance' sei der Mensch in einer veränderten
Bewusstseinslage. Ein Anzeichen der Trance ist ebenfalls ein
Bewusstsein, das sich der Kontrolle durch den Betroffenen entzieht.
Der
Mensch gerate in einen schlafähnlichen Zustand, verliere teilweise
das Ich-Bewusstsein.
Es
gibt Stimmen, die für eine scharfe Trennung der beiden Begriffe
plädieren. Andere sind der Ansicht, dass beide Zustände ineinander
überfließen, eine Trennung daher unmöglich sei. Beobachtungen von
Tänzen und Tänzern lassen jedoch darauf schließen, dass der
Tanzende über den Tanz zunächst in die Trance und danach in den
Ekstase- Zustand gelangt.
Es
scheint, dass regelmäßige, rhythmische Bewegungen zu monotoner
Musik den Tanzenden in Trance versetzen. Gleichmäßige Bewegungen,
Konzentration auf die physische und akustische Monotonie blenden alle
anderen Reize aus – das ist die Trance. Nach einer Weile folgt der
nächste Schritt - die Ekstase. So oder so – es ist ein Rhythmus,
der den Körper zwingt, sich zu bewegen, und es ist Bewegung, die
Pforten öffnet - zum Ursprung, zum Wissen. Es ist ein heiliger
Rhythmus, der uns das Heilige eröffnet.
Der
sakrale Tanz oder: Sakralität im Tanz
Göttertänze
im alten Indien, ekstatische Tänze des Dionysos im antiken
Griechenlands, die „Ekstase“-Tänze der Sufi-Derwische, die
Besessenheitstänze der Gnawa-Anhänger – der Tanz ist ein
Phänomen, das früher stets in religiösen Kulten auftauchte. Ist es
nun Zufall oder steckt hinter dieser Verbindung Musik – Körper –
Bewegung – Sakralität mehr dahinter?
„Während
der Musik nimmt der ganze Körper nach und nach Anteil am Rhythmus
und gerät in Bewegung“, erklärte Curt Sachs. Gerade dies sei
das Charakteristische am Trancetanz - die Stellung aller Körperteile
in den Dienst des Taktes.
Dabei
sind die Bewegungen des ekstatischen Trancetänzers oft alles andere
als ästhetisch. Das sollen sie auch nicht sein, betonte Ulrike
Krasberg.
Der
Trancetanz diene nicht der ästhetischen Erbauung der Zuschauer. Im
Gegenteil, er sei sogar abgewandt von den Zuschauern. Der Tanzende
tanzt nicht für ein Publikum, sondern für sich selbst.
Gerade
diese ganz persönlichen, spontan entstandenen Bewegungen und die
Ungehemmtheit, welche die Trancetänzer an den Tag legen, berührt
aber nicht nur die Tänzer selbst, sondern auch jene, die den Tänzern
lediglich zuschauen. Sie fühlen sich auf eine ganz elementare - ja
somatische!- Weise in das Geschehen miteinbezogen.
Was
soll denn das Theater? Religiosiät und Kunst. Durch Körper
Religiosität erfahren.
Eben
diese magische Macht - nämlich durch körperlichen Einsatz bei sich
und bei anderen Menschen Gefühle der Religiosität und Sakralität
auszulösen - hat das moderne Theater wieder neu entdeckt. Im
modernen Theater werden Formen religiöser und theatraler Kunst auf
die Bühne gebracht. Meist auf schockierende Weise – ich sag nur:
Performance...
Eben
diese Schockwirkung, so Krasberg, lässt beim Zuschauer Sakralität
erkennen/erfahren. Ein Pionier auf dem Gebiet ist Jerzy Grotowski.
Seine Arbeit mit seinen Schauspielschülern bestand darin, dass sie
lernen - durch physische Übungen - seelische Prozesse sichtbar zu
machen. Grotowski geht bei diesem Arbeitsansatz auf den Ritus zurück,
genauer, auf die Kraft des Ritus, die zugleich religiös und profan
ist. Eben „sakral“.
Diese
Sakralität ist nur durch den menschlichen Körper als Ganzem
erfahrbar, in der Vereinigung von Geist und Seele.
Schamanen
im zeitgenössischen Tanz
Mittlerweile
gibt es auch Trancetanz-Kurse. für jeden interessierten Laien, in
jeder größeren Stadt zu finden.
Mit
Renate Schilling, einer Trancetanz-Anleiterin hatte ich das
Vergnügen, ein Interview zu führen. Seit Mitte der 1990er Jahre
gibt sie Trancetanzseminare in Kombination mit Ritualen und Übungen
zur Selbsterfahrung (Raum Mainz-Wiesbaden).
„Trancetanz
öffnet das Tor zu erweiterten, ganzheitlichen Bewusstseinszuständen“
erklärt sie.
Dabei
bezieht sie sich insbesondere auf Gabrielle Roth, eine amerikanische
Tänzerin und Begründerin der „The Wave“. Roth war übrigens
diejenige, die als erste ekstatische (schamanische!) Tanzelemente in
den modernen zeitgenössischen Tanz integrierte.
Ein
Beispiel dafür, wie so ein Trancetanz aussehen kann, könnt ihr hier
schauen. Und ich werde nicht müde zu betonen: Schauen ohne
vorgefasste Meinungen dazu zu haben, hilft einem, ungemein, etwas zu
lernen...
Im
Tanz wohnt eine enorme heilige – und heilende - Macht inne
Durch
körperlichen Einsatz werden also Gefühle von Heiligkeit erzeugt,
Sakralität erlebt.
Dieses
Wissen ist größtenteils verloren gegangen.
Daher
sitzen die Menschen im Theater, schauen sich das Spektakel an, auch
Tänze, rotzen Taschentücher voll und fragen sich womöglich „Nanu.
Das war sooo schön. Aber warum habe ich nur geweint?...“
Oder
sie zappeln stundenlang in Discotheken herum, gehen dann mit tauben
Ohren heim und brüllen dem Freund/der Freundin „Boah war das n
geiler Abend“ - ohne sich großartig Gedanken zu machen.
All
jene, die sich vielleicht doch Gedanken machen und sich fragen, warum
ist etwas so wie es ist, hier hoffe ich ein paar Erklärungsansätze
aufgezeigt zu haben.
Zum
Schluss was Persönliches
Zumindest
bei mir ruft dieses Wissen leuchtende Augen hervor.
In
unserer Gesellschaft dominiert stets der Geist über den Körper.
Wenn
ich aber tanze, übernimmt der Körper das Kommando. Irgendwann ist
der Zustand erreicht, dann tanze nicht ich - sondern ich werde
getanzt. Und alles andere ist egal. Durch Bewegung im Takt der Musik
schwingt der Körper mit, er wird zur Musik. Eine harmonische
Verbindung von mir, und Allem um mich herum entsteht. Ich werde eins
mit meiner Umwelt. Ich spüre einen Sinn (Lebenssinn?).
Ich
frage sogar nicht - wo bin ich dann? Im Paradies? Im Nirvana? Wo höre
ich auf, wo beginnt diese andere Existenz?
Ich
glaube, es ist viel schlichter, ja gar unspektakulärer. Ich glaube,
ich bin dann einfach im HIER und JETZT. Das Paradies – das ist der
AUGENBLICK.
Und noch was: Im
Tanz erinnert sich meine Seele an den glückseligen Zustand, der sich
im Alltag leider viel zu selten sehen lässt. Das Schöne daran
ist – es ist der Leib selbst, der dazu beiträgt, sich dieser
Wahrheit zu erinnern. Mein Körper hat eine Erinnerung an seine
sakrale Bedeutung. Und wenn ich mein Körper bin - dann bin ich eine Heilige. Eine Schande, das dies im Laufe unserer
Kulturgeschichte verloren ging.