seit neuestem bin ich aktive twitterin. die mitgliedschaft hat mich schon einiges gelehrt: soziale netzwerke sind manchmal doch ziemlich asozial.
ich
bin ein twitterer.
ein
vögelchen, das zwitschert.
eigentlich
bin ich diesem vogelparadies schon vor längerer zeit
zugeflogen, angelockt durch – neeein, nicht durch die stars und
sternchen, die hier eine plattform für ihre semipornographischen bikinipanoramas entdeckten, ihrem fussfetischismus frönten und das internet mit selfies vollstopften.
mich
interessierte, wie die otto normal medien an ihre news über die
arabischen revolutionen herankamen.
eine
ganze lange weile war ich im hintergrund, ein stiller leser und ein
höchst unregelmäßiger reinschauer – die passwörter wechselte ich wie die kaffeefilter.
mein
twitter-account glich dem geheimen garten, mit efeu überwuchert und schwer auffindbar.
bis jetzt.
bis jetzt.
"tweet tweet"
jetzt
bin ich aktiv.
ich
followe nicht nur – ich twittere, kommentiere, hüpfe ums eck, wenn
sich neue follower auf mein timeline-terrain trauen.
schuld
daran sind die jungs von lousy pennies - meine bibel und mein survival-buch, wenn es
darum geht, zu erfahren und zu lernen, wie man als journalist im 21. jahrhundert im netz überlebt.
für interessierte kurz
und knapp: für heutige journalisten ist es ein must have, sich im
netz viral zu verbreiten. facebook,twitter,blog! ohne gehts nicht.
sie
predigen.
sie
gehen mit gutem beispiel voran.
ich
glaube ihnen.
und
mache es ihnen gleich.
ich
twittere. bei tag und bei nacht. wann immer mir etwas einfällt. wann
immer ich es kann. ob journalistisch motiviert oder einfache beobachtungen und geistesblitze als
alltagsmenschin, philosophin, denkexotin und zukunftsautorin.
ich
probiere mich aus.
die
reaktionen auf meine twitteraktivitäten sind nun ja: heterogen
mein
unmittelbares umfeld ist – gereizt/genervt.
sobald
ich über mein handy streife (was entgegen der beschuldigungen nicht andauernd ist!!!) muss ich
mich mit statements wie „nicht schon wieder!““boah ey, komm,
lass stecken.““das gefällt mir jetzt aber überhaupt nicht....“
zutexten lassen.
dann
habe ich kurz lust, mich auf das niveau zu begeben, mich zu erklären,
einen vortrag zu halten, dass dies eben zu meinem beruf
dazugehört (siehe: lousy pennies zum thema twitternde journalisten).
und dass es tatsächlich spass macht und einen zu
intellektuellen höchstleistungen anspornt, sich kurz zu fassen (140 zeichen!) und dennoch pointiert zu sein darf ich gar nicht erwähnen.
weil spaß und arbeit – ihr wisst schon, das passt halt irgendwie
nicht ...zusammen.
aber
da es unheimlich zeit- und nervenaufreibend ist, einem uneingweihten
mein berufsbild in 3 sätzen zu erklären (unsere
aufmerksamkeitsspanne sinkt halt rapide ab), belasse ich es beim
schulterzucken. und „arbeite“ weiter.
die
twitterer sind derzeit noch: zaghaft.
oder ignorieren mich.
trotz
unermüdlichen twitterns kann ich die followerschaft überschauen. woran es
liegt? das weiß nur die allmächtige (sofern existent). vielleicht gibt es tweet-regeln, die ich nicht kenne.
vielleicht sind meine tweets öde. vielleicht habe ich noch nicht den
richtigen zwitscher-sprech gefunden. was auch immer das ist, ich
suche einfach nicht danach. ich tu einfach, frei nach schnauze. entweder wollen die leute mich
lesen, dann wissen sie, was zu tun ist. oder eben nicht.
ich
freue mich über jeden leser. wer nicht folgt, verpasst vielleicht
was. ich sag nur: freier wille.
eine kleine studie: die twitter-gemeinschaft
wie
jeder eingefleischte ethnologe kam ich nicht umhin, mir die (fremde)
twitterkultur genauer anzuschauen. was ich herausgefunden habe, ist nun ja, nicht nur schön...
werbung_twitterer:
diese
genossen sind penetrant, sie followen jedem und sofort, ihr ziel
stets klar und deutlich vor augen: dran bleiben, werbung machen. für
ihr unternehmen. für ihr produkt. ganz ehrlich, ich bin die letzte,
die deswegen ganz empört schnauft, schließlich zwitschert hier
jeder vom meinem schlag nicht ganz uneigennützig. dennoch fühle ich
mich wenig geschmeichelt, schließlich will ich mir die aufmerksamkeit der follower dank
meiner denke und schreibe erzwitschern und nicht weil ich
ein potentieller kunde bin. aber wann brauche ich schon eine umfassende pick-up-artist-beratung?
medienmensch_twitterer:
wann
immer ein medienmensch meine timeline besucht, und dort verweilt,
trommelt mein herz einen sambarhythmus. kollegen! und so viele! und sie
bringen nachrichten aus aller welt. ganz ehrlich: die timeline durchzulesen ist wie
eine crank-linie zu schnupfen. gleich vorab: ich nehme keine drogen,
aber ich kann mir in etwa vorstellen, wie es ist (z.b. hier: crank von ellen hopkins.). glücksrausch, allmachtsphantasien – so geht es mir,
wenn ich wissen inhaliere. nach jedem timeline-ausflug in meinem
account fühle ich mich high. ich weiß so vieles und so schnell (oft
noch bevor es online als text auftaucht). das berauscht. und
das macht süchtig.
privatmensch_twitterer:
ok.
hier wird’s ambivalent.
da
gibt es zum einen absolute freigeister. poeten, philosophen,
wortgewandte kreative. denen fühle ich mich verbunden, kann über so
manch geniales wortspiel noch tagelang schmunzeln (z.b. von der
twitter-königin ada blitzkrieg: „ist jemand von euch schon mal aus
der küche ausgetreten?“).
und dann gibt es die
schattenseite:
es sind jene exemplare, deren kommentare sich jenseits von gut und böse
befinden. beispiele? bitte: aus neugier schaltete ich zu den
alljährlichen gladiatorenspielen „deutschland sucht den superstar“
(#dsds2014) und der promi-zweit/???-verwertungsshow „ich bin ein star –
holt mich hier raus!“ (#ibes) die entsprechenden time-linien auf
twitter.
weil
ich wissen wollte, wie es denn nun so ist, ganz „live“ dabei zu
sein, wenn die twitterer tv schauen und gleichzeitig darüber reden.
ich
muss sagen: ich war entsetzt. schockiert. und desillusioniert.
das
niveau, das sich mir dort bot, ist überwiegend – pardon -
unterirdisch.
jedes
mal nach der sendung habe ich das dringende bedürfnis, mir meine
klamotten vom leib zu reissen, sie zu verbrennen und mich einer
intensiven duschprozedur zu unterziehen. gereinigt fühle ich mich dann aber immer noch nicht.
ich
bin einem irrglauben erlegen.
dachte,
die menschheit wird in 140 zeichen unsere medienwelt geistreich
kommentieren. werden konstruktive, doch wenigstens amüsante kommentare posten.
und
flog mit dieser annahme voll auf die schnauze.
von
geistreichtum war in diesen time-lines keine spur. stattdessen: häme,
gehässigkeiten, schadenfreude, und so manch ein tweet könnte als anstiftung zum auftragsmord durchgehen. (ich sag nur #larissa im dschungelcamp und
#gift)
ich.
muss. sowas. sehen. weil kulturwissenschaftler so etwas tun. darum.
jetzt
könnt ihr natürlich einwenden: „???!!!?!!““was gugst du denn
für sendungen???!!!?!!“"schalt
halt weg“ oder „wenn du sowas schaust, biste selbst schuld.“
ja,
das stimmt. ich muss nicht. und normalerweise bin ich mir stets zu
fein dafür (könnt es glauben, oder mir heuchelei unterstellen. ist
euer bier. in meinem blog schreib ich die wahrheit.)
der
kulturwissenschaftler in mir weiß: er kommt um solche sendungen
nicht herum, will er die spezies „mensch“ und sein konstrukt
„kultur“ in all seiner ganzheit umfassend verstehen will. das leben
und der ponyhof - ihr wisst bescheid.
darüber
hinaus quillt im anschluss die presse und das internet von
zusammenfassungen und analysen von diesen medialen großereignissen
über.
und dann
ist es faszinierend, zu beobachten, wie meinungen gemacht werden. und
dafür ist es von vorteil, die quelle im original zu kennen.
ihr
versteht schon ;)
#dsds,
#ibes oder #lanz sind die dauerbrenner bei läster_twitterern
keiner
der teilnehmer kommt gut weg - ob gerechtfertigt oder nicht.
da
wird gelästert, dass einem die (virtuellen) ohren abfaulen und die
augen sich nach innen stülpen.
ganz
oft lese ich auch was von „fremdschämen“.
ich
hinterfrage jetzt nicht den sinn von #dsds und #ibes - sonst müsste
ich das handttuch schmeißen, der begriffsanwendung von
(zivilisierter) abendländischer „hochkultur“ auf meine gesellschaft hier nicht mehr sicher.
ich
meine, kommt das, was mir hier als kulturgut geboten wird,
tatsächlich von der „krone der schöpfung“? mündet das ergebnis
jahrtausendealter menschheitsgeschichte tatsächlich darin, dass wir
uns daran aufgeilen, wie andere sich vor den kameras blamieren, sich
in tierkadavern wühlen, anus-cocktails herunterwürgen und uns durch
ihre genitalwäsche entertainen?
ich
hoffe inständig, dass dies nur eine „phase“ ist und unsere
gesellschaft nicht auf eine idiocracy zusteuert. (schaut euch den film an. manchmal denke ich, wir sind nur einen katzensprung davor entfernt...)
eigentlich
liegt die intention solcher shows klar auf der hand: zuckerbrot und
peitsche für das bildschirmvolk, ein bisschen ruhm, vielleicht
mal ein one-hit-wonder für die singvögelchen, oder ein dschungekrönchen für die
(ex)-promi-kandidaten.
wofür
ich mich, glaub ich mehr fremdschäme, ist eigentlich das, was ich dann
auf twitter lese.
dort
denke ich im sekundentakt: wtf??? was soll das?? die kommentare. sind.
grottenhaft.
klar,
menschen wollen ihre meinung frei äußern können. und das ist unser
gutes recht. ein menschenrecht.
doch
bei manchen meinungen denke ich: also, das hättest du auch ruhig für
dich behalten können. das war jetzt eindeutig unter der
gürtellinie. und bei dieser art von kommentaren denke ich: muss das
sein???
es
geht doch auch anders.
konstruktiver.
sachlicher.
und
vor allem netter.
wenn
die kommentare wenigstens witzig wären. meistens sind sie es nicht.
meistens hört es sich an, als würde man einem tourette-treffen beiwohnen (wobei die echten tourette-betroffenen wenigstens eine "entschuldigung" haben).
die
große anonymität des netztes wird offenbar gern genutzt, um seine
fäkalsprache zu perfektionieren, wild umherzutrollen, und vielleicht den eigenen
frust über was-auch-immer an jenen abzuladen, die sich (immerhin freiwillig) in der flimmerkiste zum affen machen.
wenn
ich all das lese, dann bin ich – ganz unwissenschaftlich - empört,
und meistens eigentlich nur deprimiert und denke: adieu,
du land der denker und dichter.
die menschen
enttäuschen mich
mal
wieder
weil
sie mir das gefühl vermitteln, dass sie noch nicht so weit sind.
mal
wieder.
viel
zu weit weg davon
_empathisch zu sein
_wir-bezogen zu sein
_schlicht:
menschlich zu sein (so wie ich mir das perfekte mensch-sein
vorstelle).
meine
hoffnung, dass dies nur eine phase ist, dass dies sich noch ändert –
an der halte ich fest.
denn
hoffnung stirbt zuletzt.
und
mit nietzsches worten:
hoffnung
ist
der
regenbogen
über
den
herabstürzenden
bach
des
lebens.
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