40-stunden
arbeiten, womöglich in einem unliebsamen job, geld scheffeln und es
gegen waren und dienstleistungen umzutauschen, die man „eigentlich“
nicht braucht – so sieht das leben von vielen im 21. jahrhundert
aus. und warum? weil der belzebub im schlipsanzug uns glauben macht,
dass dieses produkt - und nur dieses!! - aus uns glückliche buddhas
macht. aber nur, solange der vorrat reicht und solange, bis das neue
smartphone das alte binnen eines augenzwinkerns(!) zu unnützem
sondermüll degradieren lässt. wir konsumieren und konsumieren,
ersticken in kleidung, asseccoires und elektroschnickschnack,
verlieren den überblick, weil es ja schon die jeans nummero sieben
ist, die wir in diesem jahr gekauft haben. und zeit, um die neue
jeans, neues smartphone oder neue tasche mit genuß zu tragen, haben
wir erst recht nicht. denn die sind ja morgen schon wieder alt...
ganz ehrlich – das kann doch
nicht tatsächlich der sinn des lebens sein, oder? arbeiten, um zu
konsumieren. konsumieren, ohne zeit zu haben zum genießen. ich
bezweifle, dass dieser lebensstil einen menschen auf dauer glücklich
macht. keine ahnung, vielleicht liegt es an meiner
hippievergangenheit (ähm...julia...von vergangenheit kann keine rede
sein..) oder hängt mit meinem beruf als „weltverbesserin“ - in
fachkreisen nenn ich mich dann „ethnologin“ - zusammen, aber ich
habe ganz stark den verdacht, dass uns dieses leben, so wie es bisher
läuft, nichts weiter bringt als vorzeitige vergreisung mit burn-out,
riesige müllhalden unter giftigen dunstwolken - und eine
lebensfeindliche erde.
da ich nicht vorhabe, still und
leise darauf zu warten, sondern ein teil jener bewegung zu werden,
die sich für einen wandel einsetzt, hin zu einer co-existenz von
mensch und umwelt – eigentlich ist dies der ursprungszustand eines
menschen, als teil der natur!! - habe ich mir den vortrag
„befreiung vom
überfluss: es geht auch ohne wirtschaftswachstum“
von niko paech einverleibt.
und ich muss sagen: ich war
danach nicht mehr dieselbe. ein gedanke machte sich breit: paech for
president! zwar verfüge ich, was postwachstumsökonomie und
wirtschaftswachstumkritik angeht über enormes halbwissen, das ich
gerade wegen meinem neuen job zu fachwissen upgrade, umso dankbarer
war ich, diesen vortrag anzuhören. kurzum: ich war begeistert,
überwältigt und erstaunt, und was ich da gehört habe, wollte ich
euch hier - durch meine subjektiven gedankenporen hindurch gefiltert
- wiedergeben.
es war am 5.februar 2014 in
mainz. tatort: campus. ich begab mich zum hörsaal meiner
lieblingsuniversität, bis an die zähne mit laptop und smartphone
gewappnet, versteht sich. ich gehe nie zu vorträgen oder lesungen
OHNE etwas zu schreiben dabei zu haben. unverständlich, wer sowas
tut. die bude war, gelinde gesagt, proppenvoll. wildfremde leute
saßen eng aneinander geschmiegt, später, als die sitzreihen nichts
mehr hergaben, stapelten sie sich weiter auf den treppen im gang.
offensichtlich interessiert sich
das volk für solch unerhörtes thema wie kritik am
wirtschaftswachstum... ich zumindest freue mich über diese
beobachtung. bei mir ist es zumindest zum teil berufsinteresse. der
rest war der mensch in mir.
niko paech ist offensichtlich der
star-wirtschaftswissenschatler und der
wachstumskritiker der seinesgleichen sucht. hier ein paar indizien
aus seiner vita:
_ vertritt den lehrstuhl für
produktion und umwelt an der carl von ossietzky universität in
oldenburg
_ forscht und lehrt in den
bereichen: klimaschutz, nachhaltiger konsum, umweltökonomik,
nachhaltigkeitskommunikation und postwachstumsökonomik
_ ist vorsitzender der
vereinigung für ökologische ökonomie (vöö)
_ ist mitglied im post fossil
institut (pfi)
_ ist mitglied im
kompetenzzentrum bauen und energie (kobe)
_ bekam einen journalistenpreis
_ ist autor des buches „befreiung
vom überfluss“
_ und und und
als ich ihn dann vorne am pult
stehen sah, dachte ich: coole socke, aber sowas von.
wirkt sehr jugendlich, trotz
1960er-baujahr – vielleicht hält ja so eine protestattitüde und
engagement jung?
der vortrag greift ein thema auf,
das wohl immer wieder diskutiert wird, aber bei der großen mehrheit
der wirtschaftsheinis scheinbar auf taube ohren stösst:
postwachstumsökonomie.
ganz unverblümt veranschaulichte
paech uns die lügen, die uns otto-normal-menschen seit jahrzehnten
(oder gar jahrhunderten??) seitens der wirtschaft propagiert wird:
lüge 1: wirtschaftswachstum wird
nachhaltiger und klimafreundlicher, wenn wir nur genügend
technischen fortschritt vorantreiben, bessere technologien
entwickeln, grünere autos bauen, etc.
lüge 2: ständiges
wirtschaftswachstum wird uns glücklicher machen und soziale
sicherheit bringen.
das alles sei großer mummpilz,
findet paech (auch wenn er sich natürlich anders artikuliert, aber
wir sind hier auf meinem blog, nicht vergessen ;))
die
mär vom grenzenlosen wachstum...
...ist ein großer
pustekuchen, denn: schon jetzt stoßen wir an grenzen.
ressourcen_grenzen
wir stehen vor einer verknappung
von ressourcen (fachbegriff: „peak everything“). dabei ist längst
nicht nur das öl gemeint, sondern auch andere essentielle ressourcen
wie metalle und seltene erden (wegen coltan, das in jedem handy oder
smartphone gebraucht wird, werden in afrika kriege geführt),
trinkwasser - auch in europa und landflächen zum anbau von
nahrungsmitteln – in deutschland!
glücks_grenzen
ein mantra, dass immer wieder
gepredigt wurde war: materieller wohlstand wird unser leben
erleichtern, was dazu führen wird, dass wir zu glückskeksen
mutieren.
fehlanzeige, sagt paech.
zwar geht es uns, was materiellen
wohlstand angeht, besser – das, was sich in den 1980ern-90ern
nur die oberschicht sich zu leisten im stande war, kann heute jeder
ottonormalbürger ebenfalls: harz vierer, die sich mit ihrem
smartphone an einem flugschalter nach nach malle noch schnell ein
samurai-schwert bei ebay ersteigern? keine utopie, sondern realste
realität.
aber: glücklicher hat uns solch
ein wohlstand irgendwie nicht gemacht.
es ist sogar schon soweit
gekommen, dass nicht nur psychologen und soziologen sich mit dem
thema „glück“ befassen.
so ganz nach dem motto „wir
sind frei, wir haben kein recht darauf, unglücklich zu sein“
versuchen wirtschaftswissenschaftler zusammenhänge zwischen der
gesellschaftlichen lage und der beflindlichkeit des subjekts
erörtern.
ihre überschriften lauten „fluch
der moderne: verdammt zum glück“ (bruckner 2001) und „das
erschöpfte selbst“ (ehrenberg 2004)
die menschheitsgeschichte wird
als siegeszug gegen repressalien jeglicher art beleuchtet – frei
von kirche, frei von diktaturen, frei unser leben so zu gestalten,
wie WIR es schon IMMER wollten.
diese freiheit haben wir nun
auch.
sollte eigentlich bedeuten: wir
müssten glücklich sein ohne ende.
müssten.
sind wir aber nicht.
zu sehen ist dies, so paech an
der zunahme an antidepressiva, die in den letzten jahren
dramatisch gestiegen ist. offenbar brauchen die menschen mittlerweile
chemisches substanzen in form von medikamenten, um sich „glücklich“
zu fühlen.
kritik
an green economy
zwar hat die wirtschaft auf die
letzten großen krisen – etwa finanzkrise, schuldenkrise,
vielleicht auch fukushima – reagiert und sich um mehr „grüne“
produkte bemüht – also mehr bionade produziert, 3-l-autos gebaut
und bio-cotton-jutebeutel genäht – aber auch dies ist leider
nichts weiter als ein mythos, so paech, nämlich, dass
wirtschaftswachstum verträglicher sei, wenn es „grün“ werde.
das problem ist nämlich:
ökologische und umweltfreundliche produkte lassen uns glauben, dass
wir an unserer lebensweise nichts ändern brauchen. und dennoch der
umwelt was gutes tun.
wir essen und trinken
bio-produkte und wir fahren mehr umweltfreundliche autos.
„green economy“ will uns
glauben machen, wir bräuchten nichts an unserer lebensweise zu
ändern, die neue verbesserte technologie tut dies schon.
paech veranschaulicht dies an
einem werbeplakat: ein rasendes auto in einer grünen landschaft und
daneben der slogan: ändern sie nicht ihren fahrstil. sondern ihr
auto.
das
ist fatal, findet paech. denn: je mehr nachhaltigkeitssymbole
verfügbar sind, desto mehr schädliche praktiken lassen sich damit
kompensieren:
wir glauben, wenn wir ein
umweltfreundliches auto fahren, dann sind wir keine umweltsünder –
auch wenn wir mit dem auto jeden tag 100 km zwischen arbeit und
bioeigenheim zurücklegen.
wir glauben, wenn wir nur
genügend bionade trinken, dann müssten wir nicht auf den
alljährlichen flug auf die malediven verzichten.
die verwendung von ökoligischen
produkten gleicht einem ablasshandel in der kirche, so paech.
wir halten fest:
wir haben materiellen wohlstand.
und WIR SIND UNGLÜCKLICH
weder normales
wirtschaftswachstum noch ein „grünes“ wirtschaftswachstum haben
dazu beigetragen, dass unglücklichsein vergeht.
woran liegt das?
paech – und da stimme ich ihm
vollkommen zu – sagt, wir sind überfordert und gestresst.
ihr kennt das sicherlich: gerade
habt ihr euch ein neues smartphone zugelegt. ihr habt euch mit ach
und krach an die neue tastatur gewöhnt, gelernt zu swypen, statt zu
tippen, habt euch mit viel schweiß und fragezeichen im kopf die
kamerafunktionen und bildbearbeitungstools angeeignet und dann das –
das neue modell ist schon draußen.
mit noch cooleren tools und
funktionen. und alle anderen um euch herum haben das teil schon. nur
ihr nicht. und auch wenn ihr euch konsequent dagegen entscheidet,
auch das neue modell euer eigen zu nennen: der impuls war da. ihr
musstet euch mit der tatsache auseinandersetzen, da ist ein neues
modell.
diese bombardierung mit neuen
sachen, obwohl die alten eigentlich auch noch neu sind – das ist
überreizung.
mir kommt immer wieder der
existentialist sartre in den sinn: wir sind dazu verdammt, frei zu
sein. freisein bedeutet auch, sich für alles oder nichts entscheiden
zu können. und diese entscheidungsfreiheit ist manchmal die hölle.
macht stress. und stress macht krank. pillen ahoi!
paech sieht die einzige
möglichkeit, um aus diesem teufelskreis:
kaufkraftanstieg >
optionenvielfalt > reizüberflutung > zeitknappheit >
uberforderung
auszutreten ist die
reduktion
als selbstschutz sozusagen.
denn es kann doch nicht sein: wir
sind wohlhabend, aber unglücklich.
ein wandel muss her. und er hat
da sogar eine idee.
seine these lautet:
um nachhaltig zu leben, brauchen
wir eine andere balance zwischen freiheit und verantwortung.
freiheit bedeutet dabei nicht,
viel zu haben, sondern wenig zu brauchen.
nachhaltigkeit heißt für ihn
schlicht: reduktion!
und der ausweg wäre: anstreben
einer postwachstumsökonomie.
er glaubt, wir könnten mit
weniger konsum glücklich sein (das glaube ich übrigens auch).
seine theorie lautet nämlich:
„glück“ hängt von der zeit ab, die einer handlung oder einem
konsumobjekt gewidmet wird.
um etwas genießen zu können,
muss man entschleunigen!
so wäre der erste schritt zum
glücklich sein: den kommerziellen sektor reduzieren.
denn kein mensch sollte mir jetzt
eigentlich widersprechen wenn ich sage:
wir produzieren zuviel zeuch!
kein mensch braucht alle zwei
monate eine neue jeans! (obwohl: bei der qualität, die uns
mittlerweile geboten wird, vielleicht schon. aber das ist der
teufelskreis, den es aufzubrechen gibt: wenn wir wieder mehr klasse
statt masse produzieren würden, dann wären die sachen langlebiger.
dann könnte ich ein t-shirt auch noch nach dem siebten waschgang
anziehen, ohne damit wie ein hausgeist auszusehen und die
waschmaschine aus plastik würde nicht genau an dem tag kaputt gehen,
wenn die garantie erlischt...)
würden wir also weniger
konsumieren, und würde die wirtschaft weniger produzieren, dann
bräuchten wir keine 40-stunden-woche, sondern dann vielleicht nur 20
stunden.
stellt euch vor: 20 stunden in
der woche, die ihr anderweitig produktiv nutzen könntet. paech nennt
diese zeit „marktfreie“ versorgungszeit.
manche kritiker unterstellen
paech, seine forderungen seien fortschrittsfeindlich und rückständig.
denen sei bitte mal gesagt: hört genau hin! Er plädiert für
REDUKTION und nicht für komplette ABSCHAFFUNG.
endlich mal wieder was malen, ein
gedicht schreiben, den eigenen namen tanzen lernen
oder selbst brot backen
oder einen pulli stricken
oder lernen, kaputte sachen zu reparieren
oder
oder
oder
also ich hatte nach dem vortrag
nur einen einzigen gedanken:
paech for president !!!
die welt, die er skizzierte, da würde ich gerne sein.
vor meinem inneren auge tauchte
sofort mein künftiges „prosumenten“-leben auf:
20 stunden würde ich in konventionelle arbeit investieren
20 stunden, die mir nun zur verfügung stehen, hach:
ich würde im
schrebergarten lecker erdbeeren, gelbe tomaten und krumme gurken züchten, mein
langzeitprojekt „pulli stricken“ zu ende bringen, kindern und co
tanzen beibringen, würde endlich mal meine bücher und geschichten
zu ende schreiben.
was dabei auf jeden fall auch steigt ist: zusammenhalt. nachbarschaftshilfe würde wieder reanimiert werden, man muss nicht experte werden in allem. der eine kann schuhe reparieren, der andere dafür brot backen. tauschen wir doch unsere fähigkeiten!
ich weigere mich, zu glauben, dass
ich die einzige bin, die so ein leben schön findet.
mit weniger konsum, weniger geld
und weniger arbeitszeit können wir auskommen. wenn wir stattdessen
uns wieder darauf besinnen, mehr selbst zu tun.
sagt mir, wäre dies nicht wundervoll?
Es tut gut zu wissen, dass es noch andere Leute gibt, die die 40h Woche nicht gerade toll finden.
AntwortenLöschenMir schwirrt seit geraumer Zeit die Idee im Kopf, dass ich ja später einfach halbtags arbeiten kann um dann, ähnlich deinen beschriebenen Beispielen, meine freie Zeit sinnvoller und für interessante Dinge nutzen zu können. Leider habe ich da so meine Zweifel ob das Arbeitgeber gerne sehen, wenn man plötzlich auf die Hälfte verringern möchte....
hallo fredlam, ja, das ist wahrlich kein wunschtraum, und ist vor allem auch kaum möglich, wenn man zugleich familie hat und die kinder nicht fremderziehen lassen will. was mich besonders aufregt ist, dass modelle, wie etwa die einführung der 30-stunden-woche, sofort in der luft als "unmachbar" zerrissen werden, wobei es schon länder gibt, wo dies wunderbar zu funktionieren scheint.
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