10 Februar 2014

sagt mir nicht, dass ihr so ein leben geil findet!


40-stunden arbeiten, womöglich in einem unliebsamen job, geld scheffeln und es gegen waren und dienstleistungen umzutauschen, die man „eigentlich“ nicht braucht – so sieht das leben von vielen im 21. jahrhundert aus. und warum? weil der belzebub im schlipsanzug uns glauben macht, dass dieses produkt - und nur dieses!! - aus uns glückliche buddhas macht. aber nur, solange der vorrat reicht und solange, bis das neue smartphone das alte binnen eines augenzwinkerns(!) zu unnützem sondermüll degradieren lässt. wir konsumieren und konsumieren, ersticken in kleidung, asseccoires und elektroschnickschnack, verlieren den überblick, weil es ja schon die jeans nummero sieben ist, die wir in diesem jahr gekauft haben. und zeit, um die neue jeans, neues smartphone oder neue tasche mit genuß zu tragen, haben wir erst recht nicht. denn die sind ja morgen schon wieder alt...

ganz ehrlich – das kann doch nicht tatsächlich der sinn des lebens sein, oder? arbeiten, um zu konsumieren. konsumieren, ohne zeit zu haben zum genießen. ich bezweifle, dass dieser lebensstil einen menschen auf dauer glücklich macht. keine ahnung, vielleicht liegt es an meiner hippievergangenheit (ähm...julia...von vergangenheit kann keine rede sein..) oder hängt mit meinem beruf als „weltverbesserin“ - in fachkreisen nenn ich mich dann „ethnologin“ - zusammen, aber ich habe ganz stark den verdacht, dass uns dieses leben, so wie es bisher läuft, nichts weiter bringt als vorzeitige vergreisung mit burn-out, riesige müllhalden unter giftigen dunstwolken - und eine lebensfeindliche erde.

da ich nicht vorhabe, still und leise darauf zu warten, sondern ein teil jener bewegung zu werden, die sich für einen wandel einsetzt, hin zu einer co-existenz von mensch und umwelt – eigentlich ist dies der ursprungszustand eines menschen, als teil der natur!! - habe ich mir den vortrag

befreiung vom überfluss: es geht auch ohne wirtschaftswachstum“

von niko paech einverleibt.

und ich muss sagen: ich war danach nicht mehr dieselbe. ein gedanke machte sich breit: paech for president! zwar verfüge ich, was postwachstumsökonomie und wirtschaftswachstumkritik angeht über enormes halbwissen, das ich gerade wegen meinem neuen job zu fachwissen upgrade, umso dankbarer war ich, diesen vortrag anzuhören. kurzum: ich war begeistert, überwältigt und erstaunt, und was ich da gehört habe, wollte ich euch hier - durch meine subjektiven gedankenporen hindurch gefiltert - wiedergeben.

es war am 5.februar 2014 in mainz. tatort: campus. ich begab mich zum hörsaal meiner lieblingsuniversität, bis an die zähne mit laptop und smartphone gewappnet, versteht sich. ich gehe nie zu vorträgen oder lesungen OHNE etwas zu schreiben dabei zu haben. unverständlich, wer sowas tut. die bude war, gelinde gesagt, proppenvoll. wildfremde leute saßen eng aneinander geschmiegt, später, als die sitzreihen nichts mehr hergaben, stapelten sie sich weiter auf den treppen im gang.

offensichtlich interessiert sich das volk für solch unerhörtes thema wie kritik am wirtschaftswachstum... ich zumindest freue mich über diese beobachtung. bei mir ist es zumindest zum teil berufsinteresse. der rest war der mensch in mir.

niko paech ist offensichtlich der star-wirtschaftswissenschatler und der wachstumskritiker der seinesgleichen sucht. hier ein paar indizien aus seiner vita:
_ vertritt den lehrstuhl für produktion und umwelt an der carl von ossietzky universität in oldenburg
_ forscht und lehrt in den bereichen: klimaschutz, nachhaltiger konsum, umweltökonomik, nachhaltigkeitskommunikation und postwachstumsökonomik
_ ist vorsitzender der vereinigung für ökologische ökonomie (vöö)
_ ist mitglied im post fossil institut (pfi)
_ ist mitglied im kompetenzzentrum bauen und energie (kobe)
_ bekam einen journalistenpreis
_ ist autor des buches „befreiung vom überfluss“
_ und und und

als ich ihn dann vorne am pult stehen sah, dachte ich: coole socke, aber sowas von.
wirkt sehr jugendlich, trotz 1960er-baujahr – vielleicht hält ja so eine protestattitüde und engagement jung?

der vortrag greift ein thema auf, das wohl immer wieder diskutiert wird, aber bei der großen mehrheit der wirtschaftsheinis scheinbar auf taube ohren stösst: postwachstumsökonomie.

ganz unverblümt veranschaulichte paech uns die lügen, die uns otto-normal-menschen seit jahrzehnten (oder gar jahrhunderten??) seitens der wirtschaft propagiert wird:

lüge 1: wirtschaftswachstum wird nachhaltiger und klimafreundlicher, wenn wir nur genügend technischen fortschritt vorantreiben, bessere technologien entwickeln, grünere autos bauen, etc.

lüge 2: ständiges wirtschaftswachstum wird uns glücklicher machen und soziale sicherheit bringen.

das alles sei großer mummpilz, findet paech (auch wenn er sich natürlich anders artikuliert, aber wir sind hier auf meinem blog, nicht vergessen ;))

die mär vom grenzenlosen wachstum...
...ist ein großer pustekuchen, denn: schon jetzt stoßen wir an grenzen.

ressourcen_grenzen
wir stehen vor einer verknappung von ressourcen (fachbegriff: „peak everything“). dabei ist längst nicht nur das öl gemeint, sondern auch andere essentielle ressourcen wie metalle und seltene erden (wegen coltan, das in jedem handy oder smartphone gebraucht wird, werden in afrika kriege geführt), trinkwasser - auch in europa und landflächen zum anbau von nahrungsmitteln – in deutschland!

glücks_grenzen
ein mantra, dass immer wieder gepredigt wurde war: materieller wohlstand wird unser leben erleichtern, was dazu führen wird, dass wir zu glückskeksen mutieren.
fehlanzeige, sagt paech.

zwar geht es uns, was materiellen wohlstand angeht, besser – das, was sich in den 1980ern-90ern nur die oberschicht sich zu leisten im stande war, kann heute jeder ottonormalbürger ebenfalls: harz vierer, die sich mit ihrem smartphone an einem flugschalter nach nach malle noch schnell ein samurai-schwert bei ebay ersteigern? keine utopie, sondern realste realität.

aber: glücklicher hat uns solch ein wohlstand irgendwie nicht gemacht.
es ist sogar schon soweit gekommen, dass nicht nur psychologen und soziologen sich mit dem thema „glück“ befassen.
so ganz nach dem motto „wir sind frei, wir haben kein recht darauf, unglücklich zu sein“ versuchen wirtschaftswissenschaftler zusammenhänge zwischen der gesellschaftlichen lage und der beflindlichkeit des subjekts erörtern.

ihre überschriften lauten „fluch der moderne: verdammt zum glück“ (bruckner 2001) und „das erschöpfte selbst“ (ehrenberg 2004)

die menschheitsgeschichte wird als siegeszug gegen repressalien jeglicher art beleuchtet – frei von kirche, frei von diktaturen, frei unser leben so zu gestalten, wie WIR es schon IMMER wollten.
diese freiheit haben wir nun auch.
sollte eigentlich bedeuten: wir müssten glücklich sein ohne ende.
müssten.
sind wir aber nicht.

zu sehen ist dies, so paech an der zunahme an antidepressiva, die in den letzten jahren dramatisch gestiegen ist. offenbar brauchen die menschen mittlerweile chemisches substanzen in form von medikamenten, um sich „glücklich“ zu fühlen.


kritik an green economy

zwar hat die wirtschaft auf die letzten großen krisen – etwa finanzkrise, schuldenkrise, vielleicht auch fukushima – reagiert und sich um mehr „grüne“ produkte bemüht – also mehr bionade produziert, 3-l-autos gebaut und bio-cotton-jutebeutel genäht – aber auch dies ist leider nichts weiter als ein mythos, so paech, nämlich, dass wirtschaftswachstum verträglicher sei, wenn es „grün“ werde.

das problem ist nämlich: ökologische und umweltfreundliche produkte lassen uns glauben, dass wir an unserer lebensweise nichts ändern brauchen. und dennoch der umwelt was gutes tun.
wir essen und trinken bio-produkte und wir fahren mehr umweltfreundliche autos.

„green economy“ will uns glauben machen, wir bräuchten nichts an unserer lebensweise zu ändern, die neue verbesserte technologie tut dies schon.
paech veranschaulicht dies an einem werbeplakat: ein rasendes auto in einer grünen landschaft und daneben der slogan: ändern sie nicht ihren fahrstil. sondern ihr auto.

das ist fatal, findet paech. denn: je mehr nachhaltigkeitssymbole verfügbar sind, desto mehr schädliche praktiken lassen sich damit kompensieren:
wir glauben, wenn wir ein umweltfreundliches auto fahren, dann sind wir keine umweltsünder – auch wenn wir mit dem auto jeden tag 100 km zwischen arbeit und bioeigenheim zurücklegen.
wir glauben, wenn wir nur genügend bionade trinken, dann müssten wir nicht auf den alljährlichen flug auf die malediven verzichten.

die verwendung von ökoligischen produkten gleicht einem ablasshandel in der kirche, so paech.



wir halten fest:
wir haben materiellen wohlstand.
und WIR SIND UNGLÜCKLICH
weder normales wirtschaftswachstum noch ein „grünes“ wirtschaftswachstum haben dazu beigetragen, dass unglücklichsein vergeht.

woran liegt das?
paech – und da stimme ich ihm vollkommen zu – sagt, wir sind überfordert und gestresst.

ihr kennt das sicherlich: gerade habt ihr euch ein neues smartphone zugelegt. ihr habt euch mit ach und krach an die neue tastatur gewöhnt, gelernt zu swypen, statt zu tippen, habt euch mit viel schweiß und fragezeichen im kopf die kamerafunktionen und bildbearbeitungstools angeeignet und dann das – das neue modell ist schon draußen.
mit noch cooleren tools und funktionen. und alle anderen um euch herum haben das teil schon. nur ihr nicht. und auch wenn ihr euch konsequent dagegen entscheidet, auch das neue modell euer eigen zu nennen: der impuls war da. ihr musstet euch mit der tatsache auseinandersetzen, da ist ein neues modell.
diese bombardierung mit neuen sachen, obwohl die alten eigentlich auch noch neu sind – das ist überreizung.

mir kommt immer wieder der existentialist sartre in den sinn: wir sind dazu verdammt, frei zu sein. freisein bedeutet auch, sich für alles oder nichts entscheiden zu können. und diese entscheidungsfreiheit ist manchmal die hölle. macht stress. und stress macht krank. pillen ahoi!

paech sieht die einzige möglichkeit, um aus diesem teufelskreis:

kaufkraftanstieg > optionenvielfalt > reizüberflutung > zeitknappheit > uberforderung

auszutreten ist die

reduktion

als selbstschutz sozusagen.


denn es kann doch nicht sein: wir sind wohlhabend, aber unglücklich.

ein wandel muss her. und er hat da sogar eine idee.

seine these lautet:
um nachhaltig zu leben, brauchen wir eine andere balance zwischen freiheit und verantwortung.
freiheit bedeutet dabei nicht, viel zu haben, sondern wenig zu brauchen.
nachhaltigkeit heißt für ihn schlicht: reduktion!

und der ausweg wäre: anstreben einer postwachstumsökonomie.

er glaubt, wir könnten mit weniger konsum glücklich sein (das glaube ich übrigens auch).
seine theorie lautet nämlich: „glück“ hängt von der zeit ab, die einer handlung oder einem konsumobjekt gewidmet wird.
um etwas genießen zu können, muss man entschleunigen!


so wäre der erste schritt zum glücklich sein: den kommerziellen sektor reduzieren.

denn kein mensch sollte mir jetzt eigentlich widersprechen wenn ich sage:

wir produzieren zuviel zeuch!

kein mensch braucht alle zwei monate eine neue jeans! (obwohl: bei der qualität, die uns mittlerweile geboten wird, vielleicht schon. aber das ist der teufelskreis, den es aufzubrechen gibt: wenn wir wieder mehr klasse statt masse produzieren würden, dann wären die sachen langlebiger. dann könnte ich ein t-shirt auch noch nach dem siebten waschgang anziehen, ohne damit wie ein hausgeist auszusehen und die waschmaschine aus plastik würde nicht genau an dem tag kaputt gehen, wenn die garantie erlischt...)

würden wir also weniger konsumieren, und würde die wirtschaft weniger produzieren, dann bräuchten wir keine 40-stunden-woche, sondern dann vielleicht nur 20 stunden.  

stellt euch vor: 20 stunden in der woche, die ihr anderweitig produktiv nutzen könntet. paech nennt diese zeit „marktfreie“ versorgungszeit.

manche kritiker unterstellen paech, seine forderungen seien fortschrittsfeindlich und rückständig. denen sei bitte mal gesagt: hört genau hin! Er plädiert für REDUKTION und nicht für komplette ABSCHAFFUNG.
endlich mal wieder was malen, ein gedicht schreiben, den eigenen namen tanzen lernen
oder selbst brot backen
oder einen pulli stricken
oder lernen, kaputte sachen zu reparieren  
oder
oder
oder

also ich hatte nach dem vortrag nur einen einzigen gedanken:


 

paech for president !!!

die welt, die er skizzierte, da würde ich gerne sein.

vor meinem inneren auge tauchte sofort mein künftiges „prosumenten“-leben auf:

20 stunden würde ich in konventionelle arbeit investieren
20 stunden, die mir nun zur verfügung stehen, hach:
ich würde im schrebergarten lecker erdbeeren, gelbe tomaten und krumme gurken züchten, mein langzeitprojekt „pulli stricken“ zu ende bringen, kindern und co tanzen beibringen, würde endlich mal meine bücher und geschichten zu ende schreiben.


was dabei auf jeden fall auch steigt ist: zusammenhalt. nachbarschaftshilfe würde wieder reanimiert werden, man muss nicht experte werden in allem. der eine kann schuhe reparieren, der andere dafür brot backen. tauschen wir doch unsere fähigkeiten!

ich weigere mich, zu glauben, dass ich die einzige bin, die so ein leben schön findet.

mit weniger konsum, weniger geld und weniger arbeitszeit können wir auskommen. wenn wir stattdessen uns wieder darauf besinnen, mehr selbst zu tun.

sagt mir, wäre dies nicht wundervoll?






2 Kommentare:

  1. Es tut gut zu wissen, dass es noch andere Leute gibt, die die 40h Woche nicht gerade toll finden.
    Mir schwirrt seit geraumer Zeit die Idee im Kopf, dass ich ja später einfach halbtags arbeiten kann um dann, ähnlich deinen beschriebenen Beispielen, meine freie Zeit sinnvoller und für interessante Dinge nutzen zu können. Leider habe ich da so meine Zweifel ob das Arbeitgeber gerne sehen, wenn man plötzlich auf die Hälfte verringern möchte....

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  2. hallo fredlam, ja, das ist wahrlich kein wunschtraum, und ist vor allem auch kaum möglich, wenn man zugleich familie hat und die kinder nicht fremderziehen lassen will. was mich besonders aufregt ist, dass modelle, wie etwa die einführung der 30-stunden-woche, sofort in der luft als "unmachbar" zerrissen werden, wobei es schon länder gibt, wo dies wunderbar zu funktionieren scheint.

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